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Landwirtschaft und Klimaschutz – wie schaffen wir die Transformation?

Dialogforum in Kooperation mit der Akademie für Politische Bildung in Tutzing - Zusammenfassung

15. Mai 2024

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    Der Agrarsektor ist sowohl Mitverursacher als auch Leidtragender des Klimawandels. Gleichzeitig soll er für mehr Artenvielfalt und den Schutz der Lebensgrundlagen sorgen sowie den Wunsch der Verbraucher:innen nach preiswerten Lebensmitteln erfüllen. Wie gelingt unter diesen Bedingungen der Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und nachhaltiger Ressourcennutzung? Die Experten des Dialogforums loteten Chancen aus und zeigten die Schwierigkeiten des Transformationsprozesses auf. 
    Panel Dialogue Forum
    © Munich Re Foundation / Oliver Jung
    Das Forum wurde gemeinsam von der Münchener Rück Stiftung mit der Akademie für Politische Bildung Tutzing organisiert.
    Wie komplex das Thema Landwirtschaft und Klimaschutz ist, machte Prof. Alois Heißenhuber von der TU München zu Beginn deutlich. Die Landwirtschaft sei in mehrfacher Hinsicht wichtig. „Als Pflegerin trägt sie den Boden sozusagen auf Händen, als Betroffene muss sie mit dem Klimawandel leben, ist aber gleichzeitig mitverantwortlich für die Erderwärmung.“ So setzt übermäßiges Düngen Lachgas frei, das kurzfristig bis zu 300-mal klimaschädlicher ist als CO2. Die ebenfalls stark treibhauswirksamen Methanemissionen aus der Rinder- und Kuhhaltung täten ihr Übriges. 
    Konrad Schmid Ministerialdirigent, Landwirtschaftsministerium München
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    Konrad Schmid, Ministerialdirigent im bayerischen Landwirtschaftsministerium

    Möglichst viele Treibhausgase einsparen

    Um das Klima zu schützen, gebe es in der Landwirtschaft eine ganze Reihe von Maßnahmen, erläuterte Heißenhuber. Dazu gehöre, Stickstoffüberschüsse zu reduzieren, Methan in Biogas umzuwandeln, regenerative Anbaumethoden zu fördern und Wälder zu schützen. Entscheidend sei, die knappen Mittel möglichst effizient einzusetzen und jenen Maßnahmen den Vorrang zu geben, die bei vergleichbaren Kosten am meisten Treibhausgase einsparen. Eine Vielzahl von Maßnahmen hat auch der Bayerische Bauernverband in seiner Klimaschutzstrategie zusammengefasst, wie Umweltreferent Andreas Puchner vom Bayerischen Bauernverband erläuterte.

    Ein weiterer Ansatz besteht darin, den Bodenaufbau mithilfe von sogenannten Humuszertifikaten zu fördern. Bodenschonendes Wirtschaften wird mit dem Verkauf  dieser Zertifikate entlohnt. Durch den langsamen, aber stetigen Aufbau von Humus wird Kohlenstoff im Boden gespeichert, wodurch eine Kohlenstoffsenke entsteht. Diese Senken werden für die Umstellung auf eine klimaneutrale Landwirtschaft unerlässlich sein. Allerdings ist es schwierig, den Erfolg dieses Ansatzes in der Praxis zu messen. Zudem kann nicht garantiert werden, dass der Kohlenstoff langfristig im Boden gespeichert bleibt. Externe Faktoren, wie Dürren oder Hitzewellen tragen zum Beispiel zu einem schnellen Humus-Abbau bei, für den Landwirt:innen nicht verantwortlich gemacht werden können. Im schlimmsten Fall drohen dann Rückzahlungen von erhaltenen Geldern. 

    Prof. Dr. Dr. h.c. Alois Heißenhuber Emeritus am Lehrstuhl für Produktions- und Ressourcenökonomie, Technische Universität München-Weihenstephan
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    Als Pflegerin trägt die Landwirtschaft den Boden sozusagen auf Händen, als Betroffene muss sie mit dem Klimawandel leben, ist aber gleichzeitig mitverantwortlich für die Erderwärmung.
    Prof. Dr. Dr. h.c. Alois Heißenhuber
    Technische Universität München-Weihenstephan
    Emeritus am Lehrstuhl für Produktions- und Ressourcenökonomie

    Landwirtschaft ganz ohne Klimagase unmöglich

    Die Landwirtschaft habe beim Klimaschutz große Fortschritte gemacht, sogar mehr, als von der Politik gefordert, betonte Konrad Schmid, Ministerialdirigent im bayerischen Landwirtschaftsministerium in München. Im Sektorenvergleich mit Verkehr oder Bauwesen übererfüllt der Agrarsektor die selbstgesteckten Ziele. Erreicht wurde dies in Bayern etwa durch das Kulturlandschaftsprogramm KULAP, das klimaschützende Landwirt:innen belohnt. Schmid schätzt, dass rund ein Drittel der Agrarmittel aus EU-, Bundes- und Landeshaushalten für Klimaschutzmaßnahmen eingesetzt werden. Eine Landwirtschaft ganz ohne schädliche Klimagase werde es aber nie geben, räumte er ein, allein schon wegen der Rinderhaltung. Mit mehr oder besser bewirtschafteten Waldflächen könne man jedoch einen Ausgleich schaffen. Allein in Bayern würden die Wälder pro Sekunde rund eine Tonne CO2 in Holz umwandeln.
    Andreas Puchner Umweltreferent, Bayerischer Bauernverband
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    Andreas Puchner vom Bayerischen Bauernverband

    Reform der EU-Agrarpolitik unumgänglich

    Dass in der Agrarpolitik längst nicht alles eitel Sonnenschein ist, machte Tobias Schied, Junglandwirt und Sprecher der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Baden-Württemberg (jAbL), deutlich. Insgesamt wären zwar ausreichend Gelder vorhanden, die Mittel würden aber nach dem Gießkannenprinzip wenig zielgerichtet verteilt. Auch Heißenhuber sieht die  Konstruktion der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) kritisch, die vor allem auf flächengebundene Direktzahlungen an die Landwirte setze. Zudem sei die GAP mit Auflagen und Subventionen überfrachtet. Dieses System zu ändern, erfordere einen enormen Kraftakt. „Aber wir können ein System, das nicht gerecht ist, nicht weiterführen, denn dann sinkt die Akzeptanz in der Gesellschaft, deren Steuergelder schließlich verteilt werden.“

    Problematisch ist außerdem die Vorgabe der EU, dass Landwirt:innen pauschal vier Prozent ihrer Landfläche nicht mehr agrarisch nutzen sollen und dafür entschädigt werden. Das Problem ist erstens, dass diese Stilllegungsflächen nicht immer ökologisch sinnvoll sind und auch nicht zwingend zum Klimaschutz beitragen, wenn sie willkürlich gewählt werden. Zweitens arbeiten viele kleinere Betriebe bereits am Rande der Wirtschaftlichkeit und vier Prozent weniger Ertragsfläche bedeuten schmerzhafte finanzielle Einbußen. Dass in Deutschland im vergangenen Jahr rund 40 Prozent des Budgets für freiwillige Umweltleistungen nicht abgerufen wurden, führte Umweltreferent Andreas Puchner vom Bayerischen Bauernverband auf die oft unattraktiven Regelungen zurück. Ein hohes Maß an Auflagen und Bürokratie trägt zur mangelnden Attraktivität bei.

    Schied forderte, Land stärker nach Gemeinwohlkriterien zu verpachten, da das klassische Modell, in welchem Kinder den elterlichen Betrieb übernehmen, stark rückläufig sei. In der Folge landen viele Landflächen zu hohen Preisen auf dem freien Investorenmarkt, was es ökologisch interessierten Landwirt:innen zunehmend erschwert, sich eine Existenz aufzubauen. Eigentum an landwirtschaftlichen Flächen sollte gerechter verteilt sein und nicht in den Händen weniger liegen. 

    Tobias Schied Junglandwirt und Sprecher der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Baden-Württemberg (jAbL)
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    Tobias Schied, Sprecher der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Baden-Württemberg (jAbL)

    Position der Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette stärken

    Einig waren sich die Experten, dass Landwirt:innen für ihren gesellschaftlichen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit fair entlohnt werden müssen und zwar über die landwirtschaftliche Produktion hinaus. Land- und Forstwirtschaft gestalten den Raum in Deutschland wie kein anderer Sektor. Am Markt orientiere sich die Preisbildung aber vor allem an Angebot und Nachfrage. „Hier kann die Politik eingreifen, aber nur im Rahmen dessen, was in einer sozialen Marktwirtschaft möglich ist“, erklärte Ministerialdirektor Schmid. Hierzu gehören Regelungen, die die Position der Erzeuger:innen gegenüber dem Handel stärken. „Die Politik allein kann es aber nicht richten“, zeigte sich Umweltreferent Puchner überzeugt. Den Erzeuger:innen sei mehr geholfen, wenn Regelungen entlang der Wertschöpfungskette getroffen würden, wie etwa bei der Initiative Tierwohl. Dort gehen Landwirtschaft und Handel ein branchenübergreifendes Bündnis ein, das die Lebensqualität der Tiere durch finanzielle Unterstützung fördert. Ein solches System könnte auch für mehr Klimaschutz etabliert werden. Eine Gefahr stellen allerdings Lockvogelangebote im Handel dar, wenn landwirtschaftliche Produkte unter den Produktionskosten verkauft werden und sie das Preisniveau zu Lasten der Biobetriebe drücken. Auch hier brauche es Regelungen, denn Verbraucher:innen könne man hier nicht die alleinige Verantwortung zuschreiben. „Der Markt braucht Leitplanken entlang der Wertschöpfungskette“, ist Heißenhuber überzeugt.

    Transformation aktiv gestalten

    Die Landwirtschaft steht aufgrund des Klimawandels vor einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Bereits 2021 hat die von der Bundesregierung eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft Empfehlungen für einen ökologisch nachhaltigen und ökonomisch tragfähigen Agrarsektor vorgelegt, die jedoch nicht umgesetzt wurden. „Es ärgert mich, dass diese Lösungen jahrelang in den Schubladen verschwunden sind und erst jetzt wieder hervorgeholt werden, das kann ich nicht glauben“, empörte sich Heißenhuber. Außerdem plädierte er für mehr Partizipation der Betroffenen und für mehr Dialog zur Lösung der anstehenden Konflikte: „Wir brauchen diesen Schritt, um eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.“

    Die Transformation muss wegen ihrer gesamtgesellschaftlichen Ausstrahlung aktiv gestaltet werden, von Politik, Handel, Verbraucher:innen und natürlich den Landwirt:innen selbst. Keine Frage: Der Umbau der Land- und Ernährungswirtschaft erfordert erhebliche Anstrengungen, er bietet aber auch große Chancen. 

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    Podiumsgäste

    Prof. Dr. Dr. h.c. Alois Heißenhuber
    Emeritus am Lehrstuhl für Produktions- und Ressourcenökonomie, Technische Universität München-Weihenstephan

    Andreas Puchner
    Umweltreferent, Bayerischer Bauernverband 

    Tobias Schied
    Junglandwirt und Sprecher der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Baden-Württemberg (jAbL)

    Konrad Schmid
    Ministerialdirigent, Landwirtschaftsministerium München 

     

    Moderation

    Renate Bleich
    Geschäftsführerin, Münchener Rück Stiftung

    Veranstaltungsort: Saal Europe, Munich Re, Giselastraße 21, München

    Veranstaltungszeit: Mittwoch, 8. Mai 2024 um 18:00 Uhr

    2024 Dialogforum
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